Das Glück der Welt ist so zart wie Glas
Ein Regensburger Label bringt Erich-Kästner-Vertonungen heraus – gesungen von Constance Heller, begleitet von Gerold Huber.
Von Florian Sendtner, MZ
REGENSBURG.„Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“ fragte Erich Kästner 1928. „Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!“ Und unter den vielen Details, die dieses kriegslüsterne Land charakterisieren, nannte der Dichter auch dieses: „Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann. Das will mit Bleisoldaten spielen.“ Achtzehn Jahre und einen Weltkrieg später, im Jahr 1946, ist es nicht mehr nur jeder zweite Mann, den Kästner verdächtigt, Krieg spielen zu wollen: „Es steckt ein Kind in jedem Mann. / Ein Spielzeug ist sein Ziel. / Nur was dabei zustande kommt, / das ist kein Kinderspiel.“
Kästner selbst hat immer das Prosaische, Praktische seiner Lyrik betont. „Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ – der Buchtitel, 1936 in der Schweiz erschienen, sagt schon alles: alltagstaugliche Gedichte werden hier angeboten, Hirnfutter für den Hausgebrauch, keine abgehobene Poesie. Und doch ließ sich Kästners Lyrik genauso klassisch vertonen wie die von Goethe. Edmund Nick hat 67 Kästner-Lieder komponiert, in einer zeitlos-klassisch-modernen Manier, die Franz Schubert genauso verinnerlicht hat, wie sie mit Kurt Weill auf Augenhöhe ist.
Das relativ junge Regensburger Label Spektral hat jetzt 22 dieser 67 Kästner-Vertonungen unter dem Titel „Fahrt in die Welt“ als CD herausgebracht – gesungen von der Mezzosopranistin Constance Heller, am Klavier begleitet von Gerold Huber. Man kann diese Scheibe nur als kleine, feine Sensation bezeichnen. Es geht schon damit los, dass die Bezeichnung „Klavierbegleitung“ für das, was Gerold Huber hier zu Gehör bringt, so gar nicht passen will. Denn Hubers Klavier schmiegt sich einerseits aufs eleganteste an Constance Hellers hell strahlenden Mezzosopran an, es führt aber gleichzeitig ein durchgehend vernehmbares Eigenleben, ohne auch nur mit einer einzigen Note auftrumpfen oder dominieren zu wollen.
Heller besticht durch Vielseitigkeit
Constance Hellers Stimme schließlich ist von einer traumwandlerischen Sicherheit in der Intonation. Sie kann von einer Note zur anderen Siegesgewissheit in Depression abstürzen lassen, Zuversicht in Melancholie – und umgekehrt kann sie mitten im Pianissimo ohne Vorwarnung aufdrehen bis zum Anschlag. Und man hat nicht den Eindruck, als ob sie das auch nur einmal üben hätte müssen, so unmittelbar überzeugend klingt das, so ganz und gar nicht gewollt oder gar erzwungen.
Im „Spielzeuglied“ von 1946 über die Krieg spielenden Männer tastet sie sich zuerst zaghaft in Moll hoch: „Das Glück der Welt ist zart wie Glas / und gar nicht sehr gesund.“ Um dann posaunenhaft triumphierend in Dur draufzusetzen: „Doch wenn die Welt aus Eisen wär, – / die Männer, die Männer, / sie richten sie zugrund!“ Die schwererziehbaren Erwachsenen sind bei Kästner ein Dauerthema. Die Analogie von den Kindern, die ihr Spielzeug zerschlagen, zu den Nazis, die die Welt in Schutt und Asche legen, wird beim Refrain schräg: „Es ist nur so: wir lieben sie. / Ihr Schmerz ist unser Schmerz. / Wir legen sie nicht übers Knie. / Wir drücken sie ans Herz.“
Aber apropos Herz: Natürlich reimt es sich bei Kästner nicht auf Schmerz. Doch immerhin ist ihm ein eigenes Gedicht gewidmet: „Frage an das eigene Herz“ (1945). Indes, es antwortet nicht, das Herz, der Inhaber des Organs wird nicht schlau aus ihm – und resigniert: „Man soll den Mächten, die das Herz erschufen, / nicht dankbar sein.“
Wohl kein klassischer Kästner?
Typisch Kästner: das lyrische Ich teilt überschwänglich seine Befindlichkeit mit? – Von wegen: Es weiß nicht, was mit ihm los ist. Von Edmund Nick wiederum kongenial vertont und von Heller und Huber musikalisch derart stimmig dargeboten, dass man Walter Benjamins Kästner-Verriss („linke Melancholie“) endgültig als rätselhaften Ausreißer abhakt.
Es ist auch noch eine zweite Stimme auf dieser CD zu hören, die von Dagmar Nick, der Tochter des Komponisten, die soeben ihren Neunzigsten feierte und vor allem als Dichterin bekannt ist. Sie spricht das letzte Gedicht aus dem Zyklus „Die 13 Monate“ (1969). Im Booklet steuert sie einen Aufsatz bei über die Freundschaft ihres Vaters mit Kästner. Die beiden lernen sich 1929 im Breslauer Rundfunk kennen und sind bis an ihr Lebensende befreundet. Sie sterben im gleichen Jahr, 1974.